Unbekanntes Bernhard-Manuskript entdeckt

  • Kurier
  • 12 November 2001
  • apa/-s/w-

Wien - "Es gibt bessere Stücke, aber wenige, die ich leidenschaftlicher gelesen und gewürdigt hätte". Von der Entdeckung eines bisher unbekannt gewesenen Manuskripts von Thomas Bernhard berichtet die Tageszeitung "Der Standard" in ihrer Montagausgabe. Demnach handelt es sich um eine Bearbeitung von Thomas Wolfes Stück "Herrenhaus" aus dem Jahr 1957. 68 Seiten davon hat Bernhard eigenhändig geschrieben, heißt es.

Bernhard hatte sich von einem Buchbinder weiße Blätter zwischen die gedruckte Rowohlt-Ausgabe des Dramas binden lassen. Er füllte sie mit einem Vorwort, mit unzähligen Anweisungen, Korrekturen, Anmerkungen und 25 Skizzen: "Es gibt bessere Stücke, aber wenige, die ich leidenschaftlicher gelesen und gewürdigt hätte", schreibt Bernhard.

Eigenständige Bearbeitung

Diese Arbeit ist dem "Standard" zufolge aber nicht bloß ein Regiebuch, sondern eine eigenständige Bearbeitung: Bernhard verlegte die Zeit der Handlung des 1922 entstandenen Südstaatendramas in die Jahre 1952/1953, "die Zeit des Krieges in Korea". Das Vorspiel aus der Kolonialepoche verlagerte er ins Jahr 1920, den Schluss in die Gegenwart.

'Wirkliche Dichtung'

Er sei zwar "gegen die 'Verlegung' jedweden Stückes", notiert Bernhard, "jedoch schien es mir nicht nur interessant, hier zu beweisen, dass man, wie man sagt 'wirkliche Dichtung' ohne weiteres um 200 Jahre verschieben kann. Das Negerproblem ist heute wiederum zu modern als dass ich es in den Fordergrund (sic!) setzen möchte. Das eigentliche 'Problem' des Spiels dauert meiner Ansicht nach über etliche Jahrhunderte."

Der Wert

Das Manuskript ist eine wirkliche Rarität, heißt es in dem Bericht. Hat doch Bernhard in der Regel mit der Maschine geschrieben - was in diesem Falle nicht möglich war. Und so bittet der Student im Vorwort, "die scheußliche Form" zu entschuldigen, "doch bin ich außerstande, zu denken und schön zu schreiben". Von einem Salzburger Buchhändler, der die Aufregungen, die dieser Fund mit sich bringen wird, scheut, erwarben die Antiquariate Wolfgang Friebes (Graz) und Inlibris (Wien) gemeinsam das Regiebuch. Sie bieten es nun zum Verkauf an: Laut einem Gutachten dürfte der Wert bei 5,8 Millionen Schilling (421.502 Euro) liegen.