Johann-Strauß-Operette ist neu zu entdecken

  • Die Presse
  • 3 January 1997
  • sin

Beim Dreimäderlhaus in Wien hat sich ein junger Antiquar angesiedelt, der zwar nicht mit Schubert, aber mit Operetten-Kleinodien den heimischen Antiquariatsmarkt belebt.

Hugo Wetscherek, junger musikalischer Antiquar in Wien, belebt die Szene: In seinem neuen Laden in der Schreyvogelgasse bietet er Manuskripte, Drucke, Photographien und Devotionalien feil, die die Herzen von Operettenfreunden höher schlagen lassen. Vor allem die großen Konvolute lassen aufhorchen: Nicht zuletzt ist es Wetscherek gelungen, die Nachlässe von Komponisten wie Leo Fall oder Librettisten wie Viktor Leon zu erstehen. In Sachen Fall ergibt sich daraus ein für Wien durchaus bedeutsames Faktum: Ein Teil des Komponistenerbes lagert seit den dreißiger Jahren in der Österreichischen Nationalbibliothek. Der andere Teil, der jetzt bei Wetscherek zum Verkauf angeboten wird (Preis: 1,8 Millionen Schilling), war nach Zwistigkeiten unter den Rechtsnachfolgern abgetrennt worden und galt lange als verschollen.

Frühwerke von Leo Fall

Für die Wissenschaft ist, was in der Schreyvogelgasse lagert, von einiger Bedeutung. Immerhin umfaßt die Sammlung nicht nur Teile von eigenhändigen Klavierauszügen der Operetten "Der fidele Bauer", "Der Rebell" oder "Die Dollarprinzessin", Skizzen und vollständige Partituren von Falls Hand, sondern auch symphonische Frühwerke des 1925 verstorbenen Komponisten - so etwa die Partitur einer Orchestersuite in g-Moll, die Fall als "Opus 1" bezeichnet hat, sowie, besondere Kuriosität, eine Symphonie in a-Moll, die Fall als Teenager skizziert zu haben scheint, und auf deren Manuskript sich Eintragungen eines weiteren bedeutenden Meisters finden: Alexander von Zemlinsky, Konservatoriumskollege Falls, schrieb auf die letzten Seiten von Falls Partitur eigene Einfälle nieder!

Ebenso spannend der Nachlaß des Librettisten Viktor Leon, dessen Zusammenarbeit mit Künstlern wie Lehár, Fall, Kalman, Ziehrer, Girardi oder auch Stefan Zweig hier durch mehr als 100 abgeschlossene Werke, unzählige Briefe und SKizzen, Drucke und Musikautographen dokumentiert ist. Hinzu kommt eine umfassende Sammlung von Photographien, die nicht zuletzt die Verehrung bezeugen, die Künstlerkollegen dem Textautor entgegenbrachten.

Der Katalog von Wetschereks "Inlibris" umfaßt noch etliche Schätze, Dokumente von Lotte Lehmann bis Eduard Strauß, Franz Lehár bis Erich Wolfgang Korngold. Ein Konvolut daraus dürfte demnächst auch für die Musikpraxis Bedeutung gewinnen. Der renommierte Wiener Musikforscher Eberhard Würzl gab sich über die Entdeckung des Originalstimmen-Materials der Johann Strauß-Operette "Simplicius" begeistert. Würzl zur "Presse": "Ich habe über diese Operette geforscht und es noch bei der Abfassung meiner Dissertation für fraglich gehalten, ob dieses Werk je wieder zu rekonstruieren sein würde. Die meisten wichtigen Quellen waren verloren."

Der neue Wiener Antiquar hält nun die Sensation bereit: das Stimmenmaterial der Uraufführung des "Simplicius", an der 1887 Alexander Girardi mitwirkte, und Stimmen der Drittfassung, die in Wien 1894 herauskam. Damit steht einem Revitalisierungsversuch mit einer musikalisch reichen, textlich jedoch nicht unproblematischen (vor dem Hintergrund des dreißigjährigen Krieges angesiedelten) Operette nichts mehr im Wege. Warum nicht im Strauß-Jahr 1999? Ein junger Antiquar macht's vielleicht möglich.