In den Armen des Schutzengels

  • Stuttgarter Zeitung
  • 10 January 2003
  • Tomas Fitzel

Briefe von Franz Kafka an den Arzt Robert Klopstock stehen in New York zum Verkauf

Zwischen einer Postkarte von Gustav Klimt und einem Heiligenbildchen, auf dessen Rückseite Marie-Antoinette einige Zeilen kritzelte, ist im Katalog des Wiener Antiquars Hugo Wetscherek als Nummer vier der Nachlass von Dr. Robert Klopstock und seiner Frau Giselle aufgeführt. Dieser Nachlass wird nun auf der New Yorker Antiquariatsmesse, die gestern Abend eröffnet wurde, zum Kauf angeboten. Der Nachlass unternimmt auf diese Weise noch einmal eine Reise des Ehepaars in die Neue Welt; als Emigranten flohen sie 1938/39 nach Amerika. In Europa scheint sich gegenwärtig kein Käufer zu finden, der die dafür geforderten 1,2 Millionen Euro aufzubringen gewillt ist. Eine enorme Summe, freilich, aber auch nicht irgendein Nachlass. Darin verbergen sich nämlich 38 Briefe von Franz Kafka. Sieben davon waren bisher unveröffentlicht.

Sollte die Summe erlöst werden, wären damit die Preise für Kafka-Manuskripte auf Rekordhöhe geklettert. Aber wer könnte interessiert sein an dem Bestand? Das Deutsche Literaturarchiv Marbach hat bereits signalisiert, man werde nicht mehr mitbieten. Dabei wären die Briefe ganz ohne Zweifel dort am besten aufgehoben. Und die Oxforder Bodleian Library, ebenfalls im Besitz wichtiger Kafka-Handschriften, bleibt konsequent bei ihrer Haltung, sich derartige Vermächtnisse nur schenken zu lassen. Wer wird also die Briefe samt Nachlass erwerben, in dem sich unter anderem das Romanmanuskript "Der Mann ohne Schicksal" von Giselle Klopstock befindet? Wird als Käufer irgendein Magnat auftreten, um die Briefe als beständige Wertanlage in seinem Tresor zu verschließen? Schon Kafkas Briefe an Felice Bauer verschwanden so nach ihrer Versteigerung 1988 für die heute bescheiden anmutende Summe von einer halben Million Mark im Besitz eines Unbekannten.

Robert Klopstock war Kafkas Freund, Briefpartner und ärztlicher Ratgeber. Zusammen mit Dora Diamant, Kafkas letzter Liebe und einziger wirklicher Lebensgefährtin, stand er ihm bis zu seinem Tode bei. "Was wäre ich ohne sie", schrieb Kafka an seine Eltern und: "Ich weiß aus Erfahrung, dass man bei Klopstock aufgehoben ist wie in den Armen des Schutzengels." Wegen der gemeinsamen Krankheit, der Lungentuberkulose, hatten sie sich 1921 im Sanatorium Matliary in der Hohen Tatra kennen gelernt. Klopstock war während des Krieges erkrankt und hatte sein Medizinstudium unterbrechen müssen. Später wurde er Spezialist für Lungen-TB. Er war sofort von Kafkas Persönlichkeit angezogen, ohne zu wissen, wen er da eigentlich vor sich hatte, trat aber zugleich auch als ärztlich Pflegender auf.

In der ersten Erwähnung gegenüber seiner Schwester Ottla schrieb Kafka über diesen Budapester Medizinstudenten, dass der noch am Abend zu ihm gekommen sei, "um mir einen (an sich unnötigen) äußerst sorgfältigen Prießnitzumschlag zu machen". Die Faszination war gegenseitig. Dabei verkehrte sich hier die für Kafka sonst übliche Konstellation: Nicht er wirbt in seinen Briefen um den anderen, sondern diesmal der sechzehn Jahre jüngere Klopstock um ihn. So ist ein anderer, entspannterer Ton in diesen Briefen zu vernehmen. Kafka kann sich als der ratgebende und helfende Freund darstellen, eine Rolle, die dem Leser aus den sonstigen Briefen Kafkas eher unvertraut sein dürfte. Dies gilt besonders für die Unterstützung bei Klopstocks Suche nach seinem in der Sowjetunion verschollenen Bruder.

Politisch versiert und praktisch vertraut mit den bürokratischen Strukturen und keineswegs lebensfremd, wie er in der Überlieferung durch Max Brod erscheint, berät Kafka den Freund. Die Marbacher Ausstellung "Kafkas Fabriken" hat diese Seite Kafkas zum ersten Mal gebührend zur Geltung gebracht, und hier liegt auch ein Verdienst von Rainer Stachs Kafka-Biografie. Max Brod strich aber genau diese Stellen in seiner Briefausgabe. Damit ging nicht nur ein Aspekt von Kafkas Persönlichkeit verloren, sondern auch manche Werkbezüge blieben somit im Dunkeln.

Klopstock war für Kafka intellektueller Dialogpartner in seiner Beschäftigung mit Jesus und Dostojewski sowie seiner Annäherung an Karl Kraus, was ihn aber umgekehrt geistig vom Zionisten Brod entfernte. Brod wiederum war es, der die Hinzufügungen von Dora Diamant in Kafkas letzten Briefen strich. "Darf ich die Karte zu Ende schreiben?" fragt sie 1924. Diese Postkarte gab Wetscherek als Faksimile seinem Katalog bei, der alle Briefe vorbildlich dokumentiert und kommentiert. Der Wissenschaft geht also mit dem Verkauf nichts verloren.

In Marbach hält man die Sorge, die Briefe könnten in die falschen Hände gelangen, für unbegründet. "Was so kostbar ist, wird auch geschützt", sagt Jochen Meyer, der Leiter der Marbacher Handschriftenabteilung. Roland Reuss dagegen, der Mitherausgeber der Faksimile-Edition im Stroemfeld Verlag, bemängelt vor allem die passiv abwartende Haltung, die er in Marbach zu erkennen glaubt. Giselle Klopstock verstarb 1995. Der Nachlass war bekannt. Jetzt, wo der Nachlass auf dem Markt ist, beklagt man dessen Gesetze.

Das Marbacher Archiv hat mit Kafka insgesamt keine ganz glückliche Hand bewiesen. Als Ende der achtziger Jahre die "Process"-Handschrift für eine Million zu haben gewesen wäre, zögerte man mit dem Erwerb, bis das Manuskript versteigert wurde und letztlich auf öffentlichen Druck hin doch von Marbach erworben wurde - für 3,6 Millionen Mark. Die Briefe an Felice Bauer entgingen der Marbacher Handschriftenabteilung. Aber was ist mit Esther Hoffe in Israel, der Brod-Erbin . . .? - Was die Kafka-Briefe angeht, die jetzt in New York zum Verkauf stehen, ist vielleicht noch nicht aller Tage Abend. Hugo Wetscherek deutet an, dass er sich gut vorstellen könne, dass am Ende der Nachlass Klopstock die Reise wieder über den Ozean zurück unternehmen werde.

Kafkas letzter Freund. Der Nachlass Robert Klopstock (1899-1972). Mit kommentierter Erstveröffentlichung von 38 teils ungedruckten Briefen Franz Kafkas. Inlibris, Wien. 312 Seiten, 65 Euro.