Begehrtes Altpapier

  • Silver - Das Netz:Kultur-Magazin
  • 10 January 2008
  • Nicole Bojar ist freie Journalistin. Die Wahlwienerin träumt seit 26 Jahren von der weiten Welt, seit einem Jahr schreibt sie über Außenpolitisches im Monatsmagazin DATUM.

Meine letzte Cyberbekanntschaft war Thomas Bernhard. Die Ursache. Erstausgabe, Salzburg 1975. Eine von Dutzenden. Sie blieb flüchtig. Ihr Profil war zu dürftig. Unter den angeführten Eigenschaften – "Umschlag leicht lichtrandig. Namenszug auf Vorsatz. Sonst sehr guter Zustand" – konnte ich mir nichts vorstellen. Ein Klick zum nächsten Kandidaten.
Im Netz warten Millionen alter Bücher auf neue Besitzer. Unzählige Plattformen haben sich auf antiquarisches Druckwerk spezialisiert und locken mit Superlativen: das beste Netzwerk, die größte Auswahl, die meisten Suchanfragen. Die Konkurrenz ist hart. Unbestrittener Marktführer im deutschsprachigen Raum ist das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher – kurz ZVAB. Der Pionier unter den Antiquariatsportalen vereint 4100 Mitglieder aus 27 Ländern auf seiner Plattform. Dort werden 23 Millionen Medien altpapierverliebten Lesern und Sammlern in aller Welt angeboten. So viel Marktmacht ist ungesund, fanden einige Buchhändler und haben sich 2005 zu der genossenschaftlich organisierten Plattform prolibri.de zusammengeschlossen – als Gegengewicht zum allmächtigen ZVAB.
Im Prinzip funktionieren Verkaufsplattformen einfach: Sie sind Mittler zwischen Käufern und Verkäufern. Sie finanzieren sich über Mitgliedsbeiträge, Verkaufsprovisionen und Listungsgebühren. Und stellen in den meisten Fällen auch die Bedingungen für den Warenaustausch. Seit etwa zehn Jahren mischt die neue Form der Raritätenjagd den Antiquariatshandel auf. Die Regeln des Spiels sind denkbar einfach: Suchanfrage, Bestellung, Bezahlung. Warten, bis das Päckchen kommt.

Dabei können erste Begegnungen im realen Leben so schön sein: mit den Fingerspitzen über einen Buchrücken streichen, die Prägungen am Umschlag nachzeichnen. In den Seiten blättern, das bucheigene Aroma einatmen. Alle Sinne konzentrieren sich auf die mögliche neue Errungenschaft.

Im Netz treten Käufer und Verkäufer meist nur mehr über die Kreditkartenabrechnung in Kontakt. Die Antiquariate verlieren ihr Profil – und verkommen langsam zu Waren-Zwischenlagerstätten. "Ich könnte meinen Lebensunterhalt auch allein mit dem bestreiten, was ich im Netz verkaufe", sagt Andreas Moser. Das will der 50-Jährige aber nicht. Sein Geschäftslokal liegt ihm sehr am Herzen. Vor vier Jahren hat er sich selbstständig gemacht, er betreibt ein kleines Antiquariat nicht weit von der Universität im Ersten Wiener Gemeindebezirk. Immer wieder tröpfelt Kundschaft ins Geschäft, streift um die Regale, in denen sich Buchrücken an Buchrücken schmiegt. Dazwischen stapeln sich Büchertürme aus gerade erstandenen Nachlässen. Die, die fündig werden, verlassen das Geschäft mit einem Lächeln.
"Im Netz bleiben die Kunden meist anonym. Ich erfahre nichts mehr über sie, über ihre Interessen; kann mit ihnen nicht über ihre Sammlungen plaudern." Das findet Moser schade. Dennoch versucht er gut die Hälfte seines Gesamtbestands über das Netz zu vertreiben; auf seiner eigenen Homepage und im ZVAB listet er etwa 8.500 Bücher. Früher war Moser auch auf Abebooks registriert, dort hat er sich bessere Chancen für den amerikanischen Markt ausgerechnet. Finanziell ist das nicht aufgegangen: "Zu teuer." Wird einem bei den Geschäftsstatistiken vom ZVAB schon schwummrig, muten die von Abebooks gigantomanisch an: Der weltweit agierende Buchanbieter aus Kanada verwaltet mehr als 13.500 Buchhändler in 57 Ländern. Vier Millionen Suchanfragen werden täglich auf Abebooks und seinen Schwesterseiten verzeichnet, 200.000 neue Titel werden registriert. Gehen im deutschen ZVAB 4000 Bücher pro Tag über den virtuellen Ladentisch, sind es etwa 25.000 Bücher, die über Abebooks den Besitzer wechseln.
Doch die Überlebensversicherung Internet ist für Antiquare tückisch. Die Möglichkeiten des weltweiten Buchabsatzes müssen sie teuer bezahlen: Mehr Marktchancen, mehr Kosten. Im Fall von Abebooks geht mindestens ein Sechstel des Kaufpreises an die Plattform. Für Moser hat sich das nicht rentiert. Er fürchtet, dass auch das ZVAB in nächster Zeit die Gebühren erhöhen könnte. Denn wer verkaufen will, kommt am ZVAB nicht vorbei.
Hugo Wetscherek sieht das kritisch. "Viele Antiquare haben sich in ein Abhängigkeitsverhältnis begeben, weil sie mehr als die Hälfte ihres Umsatzes über das ZVAB generieren. Jetzt beklagen sie sich darüber", sagt der 35-Jährige. Er betreibt seit 14 Jahren das Antiquariat Inlibris. Dort ist Laufkundschaft rar. Niemand verirrt sich so leicht in den vierten Stock des Gründerzeitaltbaus in der Rathausstraße im Ersten Wiener Gemeindebezirk. Bei durchschnittlichen Bücherpreisen von 1.500 Euro aufwärts sind Spontankäufe auch eher unwahrscheinlich. Bis an die Decke reichen die Regale, die mit wirklich alten Wälzern zugepflastert sind: Keiner hat weniger als 150 Jahre am Buchrücken. Die meisten sind auf Latein verfasst, lange vor der Erfindung des praktischen Taschenbuchformats. Riesige papierene Ungetüme belegen Tische, Stühle und andere Ablageflächen. Die Stimmung ist geschäftig. Zwei Mitarbeiter stapeln papierene Kostbarkeiten in metallene Transporttruhen. Bestimmungsort: Dubai. Dort findet die nächste Antiquare- Buchmesse statt. Wetscherek versorgt mit seinen Bücherschätzen hauptsächlich institutionelle Kunden, wie Museen oder staatliche Bibliotheken. Ansonsten finden seine Bücher meist auf Messen ein neues Zuhause. Aber auch der Online-Vertrieb hat für ihn an Bedeutung gewonnen. Fünf Prozent seines Umsatzes generiert er aus Netzgeschäften. Sein Antiquariat ist auf vielen Plattformen präsent: auf Ilab, der Internationalen Liga Antiquarischer Buchhändler, dem brancheneigenen Berufsverband, der weltweit agiert; und auf Portalen, die sich auf regionale Märkte spezialisiert haben: Abebooks für den amerikanischen, Maremagnum für den italienischen; ZVAB und prolibri.de für den deutschen.

Dabei gilt prolibri.de als der Robin Hood unter den Portalen. Es will mit der Plattform-Diktatur brechen. Das Unternehmen der Genossenschaft der Internet-Antiquare ist seit 2005 im Netz und vertreibt mittlerweile 2,1 Millionen Titel von 200 Händlern. Die müssen für diesen Service zwar auch bezahlen, aber aufgrund der genossenschaftlichen Organisation wirbt prolibri.de mit billigeren Gebühren – und mit besserem Service. Die Marktmacht des ZVAB zu brechen ist aber illusorisch: Das ZVAB listet zehnmal so viele Titel – von zwanzigmal so vielen Händlern. Deswegen nimmt Wetscherek auf ZVAB auch so manches Ärgernis in Kauf, wie die "Massen an unverkäuflichen Büchern" auf der Plattform, die die Suche erschweren und die Nutzerfreundlichkeit des Portals schwer beinträchtigen. Für Wetscherek ein Zeichen, dass die Mitgliedsgebühren beim ZVAB schlicht und ergreifend "zu gering" und die Eintrittsschwelle für Händler damit zu niedrig ist. Auf eine Gut-böse-Kategorisierung der Plattformen will sich Wetscherek aber nicht einlassen: "prolibri.de ist einfach professioneller. Die Zugangskriterien sind strenger. Nicht jeder kann hier ein Buch anbieten." Doch: ZVAB rules. Geht es nach Wetscherek, wird sich daran nichts mehr ändern: "Die holt niemand mehr ein. Dafür ist es zu spät."

Und Die Ursache? Vielleicht lernen wir uns demnächst bei Andreas Moser näher kennen. Er hat sie im Sortiment. Ich habe es in seinem Webkatalog gesehen.